In den Jahren 2015 und 2016 kamen mehr Asylsuchende nach Europa als jemals zuvor. Seitdem steigt die Anzahl flüchtender Menschen kontinuierlich. Gleichzeitig werden die Zuwanderungsmöglichkeiten von Menschen aus Drittstaaten in die Europäische Union (EU) seit den letzten Jahren erheblich reduziert. Die Außengrenzen der EU werden stärker überwacht und die Ausgaben für Sicherheitsmaßnahmen sind erhöht worden. FRONTEX wurde ausgebaut und die Europäische Migrationspolitik vertieft die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten, um die Migrationszahlen zu reduzieren. Während ein Teil der Mitgliedsstaaten in den letzten Jahren mit einer Vielzahl an Asylsuchenden konfrontiert waren und sich die Staaten an den maritimen Außengrenzen von den restlichen EU-Staaten im Stich gelassen fühlen, nehmen andere wiederum nur wenige geflüchtete Menschen auf. Kann also heutzutage noch von einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik gesprochen werden? Und welche Veränderungen sind seit den zunehmenden Migrations- und Fluchtbewegungen seit 2015 zu erkennen? Diesen Fragen widmete sich am 10. Und 22. November 2023, beispielhaft an der Migrationspolitik der Länder Deutschland, Griechenland und Schweden, die Veranstaltung aus den beiden Studiengängen BABS und BASO der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften in Zusammenarbeit mit Referierenden aus Schweden, Griechenland und Deutschland, die sich mit der nationalen und der EU-Migrationspolitik beschäftigen. Organisiert und geleitet wurde die internationale Tagung von Prof. Dr. Martina Ortner, Prof. Dr. Ina Schildbach und Milena Bräutigam mit Unterstützung durch die Servicestelle für Lehre und Didaktik.
Die internationale Tagung startete mit einem Gastbeitrag von Ulrika Wernesjö, Wissenschaftlerin an der Universität Uppsala. Sie ist Professorin für Sozialarbeit an der Universität Linköping in Schweden und befasst sich in erster Linie mit Ungleichheiten und Prozessen der Inklusion und Exklusion im schwedischen Wohlfahrtsstaat, mit besonderem Schwerpunkt auf Migration, Staatsbürgerschaft, ethnischer Zugehörigkeit und jungem Alter. Insbesondere untersucht sie, wie die Lebensbedingungen und der Zugang zu sozialen Rechten durch sich überschneidende Machtachsen geformt werden, aber auch, wie Individuen und Gruppen diese Grenzen der Zugehörigkeit im Wohlfahrtsstaat auf unterschiedliche Weise aushandeln. In ihrem Vortrag stellte sie die Entwicklung der Migrationspolitik in Schweden dar – von einer inklusiven Gesellschaft, die für Menschenrechte und Multikulturalität steht, hin zu einer Migrationspolitik, die Menschen aufgrund von „fehlerhaftem Verhalten“ ausweist. Zudem erläuterte sie das sogenannte Tidö Abkommen der Regierungsparteien, welche dem rechten Spektrum zugeordnet werden. In diesem Abkommen wurden sechs gemeinsame Projekte beschlossen, durch die politische Reformen zur Lösung der wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen Schwedens erarbeitet und durchgeführt werden sollen.
Im Anschluss folgte ein Gastbeitrag von Uche Akpulu, stellvertretend für den Bayerischen Flüchtlingsrat. Er absolvierte in seinem Heimatland Nigeria den Masterstudiengang Biochemie und war dort anschließend zehn Jahre als Umweltberater tätig. Darauf baute er später in Deutschland das Studium der Umwelttechnik auf. Er ist Mitbegründer des Arbeitskreises Panafrikanisches München e.V., welcher ein Forum für intellektuelle, kulturelle und soziale Interaktionen zwischen Menschen afrikanischer Herkunft und Menschen anderer ethnischer Herkunft darstellt. Der Verein setzt sich für den Abbau von Rassismus und Diskriminierung in jeglicher Form und damit einhergehend für Gleichberechtigung ein. Zudem ist er im Vorstand von before tätig, eine Beratungsstelle für Betroffene von rechter und gruppenbezogener menschenfeindlicher Gewalt und Diskriminierung in München. Beim Bayerischen Flüchtlingsrat ist er seit einigen Jahren in der Geschäftsstelle als hauptamtlicher Mitarbeiter tätig. In seinem Vortrag stellte er die Arbeit des Bayerischen Flüchtlingsrates dar sowie die aktuelle Situation der Migrationspolitik in Deutschland.
In der darauffolgenden Gruppenarbeit mit anschließender Diskussion im Plenum wurde unter anderem diskutiert, welche Elemente in Richtung Vergemeinschaftung bzw. Trennung innerhalb der EU-Migrationspolitik einzuordnen sind. Auf der einen Seite gibt es immer mehr Herausforderungen, die alle Staaten betreffen und insofern notgedrungen miteinander verbinden. Dennoch scheint kein Konsens zu existieren, der über den eingangs erwähnten Beschluss, die Grenzen besser zu überwachen und zu exterritorialisieren, hinaus geht.
Zwei Wochen später wurde in dem Gastbeitrag von Athanassios Stavrakoudis, Wissenschaftler an der Universität Ioannina in Griechenland, die Perspektive eines Staates mit maritimer Außengrenze thematisiert. In jüngster Zeit arbeitete der Referent an der Entwicklung einer integrierten Datenbank für die griechischen Volkszählungen zwischen 1971 und 2021. Zusammen mit anderen räumlichen Daten zur landwirtschaftlichen und industriellen Produktion in Griechenland gibt diese Datenbank einen sehr detaillierten Einblick in die Binnenmigration in Griechenland während der letzten 50 bis 60 Jahre. Während seines Beitrags stellte er seine Forschung vor und ging des Weiteren auf die katastrophalen Bedingungen ein, unter denen geflüchtete Menschen auf griechischen Inseln leben müssen. Er machte deutlich, dass Griechenland ein „schwacher“ Staat mit wenig Kapazitäten ist, der noch nie über die Macht verfügte, Gesetze durchsetzen zu können. Hinsichtlich der Migrationspolitik wird dies besonders deutlich.
Die internationale Tagung war insgesamt ein Erfolg und bot die Möglichkeit, einen Einblick in die unterschiedliche Umsetzung der EU-Migrationspolitik in den Mitgliedsstaaten zu erhalten.